In dem das Schnurxelchen etwas über Erdbeeren lernt.
Als das Schnurxelchen erwachte, war die Baumhöhle leer. Es rappelte sich also auf und vergaß nicht einmal, die Decke ordentlich zusammenzulegen. Das hatte ihm Mama Schnurxel beigebracht. Es gehört sich nämlich, das Bett am Morgen nach dem Aufstehen zu machen. Besonders wenn man irgendwo zu Gast ist.
Dann schaute es durch das Astloch ins Freie. Heute war ein wirklich schöner Tag. Die Sonne schien durch die Baumkrone und wärmte das Gesicht vom Schnurxelchen.
Da ertönte über dem Schnurxelchen ein leises Rascheln und Onkel Ralf kletterte leichtfüßig auf den Ast, der neben dem Astloch aus dem Baumstamm wuchs.
»Guten Morgen du Langschläfer«, erklang seine tiefe Stimme mit einem leicht belustigten Unterton.
»Guten Morgen, Onkel Ralf«, antwortete das Schnurxelchen. Beziehungsweise wollte das Schnurxelchen antworten, denn sein ›Guten Morgen‹ wurde durch ein Grollen übertönt, so laut, dass es erschrocken zusammenfuhr.
»Aha, wem knurrt denn da der Magen so, dass der ganze Wald es hört?« lachte da Onkel Ralf.
»Sollen wir uns auf die Suche nach dem Frühstück machen?«
Da nickte das Schnurxelchen eifrig, denn bei den Worten von Onkel Ralf hatte es selbst bemerkt, wie hungrig es war.
»Dann lass uns mal aufbrechen«, meinte Onkel Ralf und begann den Baumstamm herabzulaufen. Ja, das war tatsächlich ein Laufen, denn mit Klettern hatte diese Leichtigkeit nichts zu tun, wie das Schnurxelchen neidisch erkannte. Dann begann es ebenfalls an den einzelnen Rindenstücken herab zu klettern.
Unten wartete Onkel Ralf geduldig und putzte sich währenddessen gemütlich sein Fell.
Als das Schnurxelchen fast den kompletten Baum herabgeklettert war, erinnerte es sich an das Spiel, das es mit den Vogelkindern gespielt hatte, und schätzte kurz die Entfernung zum Boden ab.
Ja, das war noch höchstens so hoch wie das Nest von Henry, Nicki und den Kindern. Und außerdem war der Boden mit schönem dunkelgrünen Moos gepolstert.
Mit einem »Jippeeee« stieß es sich ab, kam unten an und kullerte direkt auf Onkel Ralf. Der war so überrascht, dass er das Gleichgewicht verlor und nach hinten umkippte.
Erschrocken rappelte sich das Schnurxelchen auf und wollte sich schon entschuldigen, als es hörte, wie ein tiefes Glucksen von Onkel Ralf kam. Das Glucksen steigerte sich, bis es einem lauten Gelächter gewichen war.
»Ho ho ho,« ertönte es von Onkel Ralf, »so etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt!«
Dann sprang er mit einem Satz auf, vollführte einen Rückwärtsalto, so wie Eichhörnchen es eben gerne tun, und schaute das Schnurxelchen lachend an.
Dabei wackelte der weiße Streifen auf seinem Bauch so sehr, dass dem Schnurxelchen ganz schwindelig wurde.
Das Lachen von Onkel Ralf war so herzlich, dass das Schnurxelchen schließlich davon angesteckt wurde und ebenfalls zu lachen anfing.
»Hihihihihihi«, kicherte es und fühlte, wie sehr es schon jetzt Onkel Ralf ganz fest in das kleine Herzchen geschlossen hatte.
Endlich hatten sich beide soweit beruhigt, dass das Schnurxelchen seine Entschuldigung vortragen konnte:
»Tut mir leid, Onkel Ralf, aber ich dachte, so geht es schneller. Zu dumm, dass ich immer irgendwohin kullere, aber das kriege ich auch noch hin.«
»Ja, da bin ich mir sicher«, meinte Onkel Ralf und fuhr dann fort. »So, jetzt lass uns mal losgehen. Ich würde vorschlagen, wir fangen mit ein paar Haselnüssen und eventuell einer Erdbeere an?«
Das Schnurxelchen nickte nur, denn es konnte sich weder unter Haselnuss noch unter Erdbeere etwas vorstellen.
Es musste sich aber nicht lange gedulden, denn schon nach wenigen Schritten hatte Onkel Ralf einen Haselbusch gefunden und begann ein paar Haselnüsse aufzusammeln.
»Du hast Glück«, sagte er, »die sind gerade so richtig schön reif. Hier probier mal.« Damit öffnete er die Schale einer Haselnuss, indem er sie einfach zwischen die Zähne klemmte und ein paar Mal fest zubiss, und gab dem Schnurxelchen eine Hälfte der Nuss ab.
Das Schnurxelchen knabberte vorsichtig an der Nusshälfte und stellte fest, dass der Geschmack gar nicht so schlecht war. Natürlich, eine Kirsche wäre jetzt viel besser gewesen. Aber egal. Hauptsache der Hunger ging weg.
Da lachte Onkel Ralf wieder: »Na, du machst mir ja richtig Konkurrenz, die Nuss ist ja fast schon weg.« Damit gab er dem Schnurxelchen die andere Hälfte.
»Na, das freut mich doch, dass dir die Haselnuss schmeckt.« Er ließ er sich auf den Hinterpfoten nieder und fuhr mit seiner Fellpflege fort.
»Sollen wir dann die Erdbeere auf morgen verschieben?«
Das Schnurxelchen schaute auf und meinte mit vollem Mund: »Nö, wenn daff genaufo gut schmeckt wie die Nuff hier.«
Da lachte Onkel Ralf wieder und meinte: »Gut, dann also noch eine Erdbeere.«
Mit vollem Bauch hüpfte das Schnurxelchen hinter Onkel Ralf her, aber die Hüpfer waren längst nicht mehr so hoch wie vor dem Haselnussfrühstück. Mit einem vollen Bauch hüpft es sich eben nicht mehr so gut.
Etwas später hielt Onkel Ralf wieder an und deutete auf eine Ranke, die auf dem Boden entlanglief.
»Vorsichtig, da sind Dornen dran«, warnte er.
Das Schnurxelchen hatte zwar von Dornen noch nie etwas gehört, aber das rote Etwas, was da an einem braunen Stängel hing, hatte es in seinen Bann gezogen.
Ein weiterer kleiner Hüpfer und plötzlich schrie es laut auf und hüpfte auf einem Bein hin und her.
»Hast du dir wehgetan?«, fragte Onkel Ralf besorgt und ergänzte: »Ich hab doch gesagt, Vorsicht wegen der Dornen.«
Jetzt wusste das Schnurxelchen also, was Dornen sind! Glücklicherweise hatte es sich nur etwas gepikst und sich nicht wirklich verletzt.
Onkel Ralf hielt dem Schnurxelchen die kleine Erdbeere hin, die er inzwischen gepflückt hatte. Es nahm die Erdbeere und biss herzhaft hinein.
Das war ein Genuss! Fasst noch besser als die Kirschen, die Henry und Nicki ihm gebracht hatten.
Als auch die Erdbeere im Schnurxelchen verschwunden und der Bauch noch etwas weiter gewölbt war, meinte es genießerisch: »Du Onkel Ralf, das könnte ich immer essen.«
»Ja, das glaube ich«, schmunzelte Onkel Ralf und machte es sich in einer kleinen Mulde gemütlich, die mit Laubblättern gefüllt war.
»Wusstest du, dass eine Erdbeere eigentlich auch eine Nuss ist?«, fragte er dann.
Da schaute ihn das Schnurxelchen verwirrt an, denn als es an die Haselnuss dachte und jetzt die Erdbeere anschaute, konnte es sich das nicht erklären.
»Siehst du die kleinen Knubbelchen?«, fragte Onkel Ralf, und fuhr fort: »Das sind die Nüsse und das rote Fruchtfleisch ist dazu da, dass wir es essen. Und wenn wir dann mal aufs Klo müssen …«
Nun grinste er. »Dann bleiben diese Nüsschen übrig und da, wo wir, naja, du weißt schon, aufs Klo gegangen sind, da wächst dann irgendwann eine neue Erdbeerpflanze.«
Er räkelte sich in der Mulde und lächelte über den offenen Mund vom Schnurxelchen.
»Komm zu mir und mach es dir bequem«, meinte er dann. »Ich will dir eine Geschichte erzählen.«
In dem das Schnurxelchen einer aufregenden Geschichte lauscht.
In dem Onkel Ralf die Hauptrolle spielt.