5. Kapitel

In dem Onkel Ralf die Hauptrolle spielt.

Der Weg zu Onkel Ralf war für das Schnurxelchen ungewohnt anstrengend, denn diesmal trug Henry es nicht durch die Lüfte, sondern hüpfte vor ihm durch den Wald.

Nach kurzer Zeit war das Schnurxelchen völlig außer Atem und rief nach Luft schnappend: »Henry, warum fliegen wir eigentlich nicht?«

Henry blieb stehen und drehte sich schmunzelnd zu dem Schnurxelchen um: »Ich würde ja gerne fliegen, aber dann müsstest du noch viel schneller laufen, solange du noch nicht fliegen kannst.«

Schmollend richtete sich das Schnurxelchen zu voller Größe auf und meinte: »Du könntest mich auch tragen.«

Aber Henry schüttelte nur den Kopf, drehte sich wieder um und hüpfte weiter.

Wenn das Schnurxelchen hätte sehen können, wie verschmitzt Henry jetzt aussah, es hätte sich wahrscheinlich schimpfend geweigert, noch einen Schritt weiterzugehen.

Stattdessen fügte es sich in sein Schicksal und rannte keuchend hinter dem ach so gemeinen Henry her.

Als das Schnurxelchen schon glaubte, keinen Schritt mehr weiter zu können, hielt Henry an und flatterte elegant an einem Baumstamm empor und zu einem großen Astloch. Dort angekommen, richtete er mit seinem Schnabel kurz noch seine Federn an den Flügeln zurecht und verschwand in der von unten kaum zu erkennenden Öffnung.

Ratlos schaute das Schnurxelchen an dem Baum empor, aber Henry tauchte nicht mehr auf.

Nach ein paar Minuten wurde das Schnurxelchen ungeduldig und sah sich den Baumstamm genauer an. Die Rinde war grob und bot jede Menge Platz für Hände und Füße.

Und so beschloss das Schnurxelchen, den Aufstieg zu wagen.

Der Anfang war sehr einfach und das Schnurxelchen kam gut voran. Ungefähr bei der Hälfte angelangt, musste es jedoch eine Pause machen und wagte einen Blick umher. Die Hälfte bis zum Astloch hatte es schon zurückgelegt und jetzt merkte es, dass es sich schon deutlich höher befand, als das Nest von Henry und seiner Familie gelegen hatte.

Mit einem Mal hatte es ein komisches Gefühl im Bauch und klammerte sich noch stärker an der Rinde fest.

»Hilfe«, jammerte es und schloss ganz fest die Augen. Wie komisch war das Gefühl. Es veränderte sich langsam und schien es mit aller Kraft nach unten ziehen zu wollen, als ob das Schnurxelchen plötzlich unendlich schwer wäre.

Und plötzlich kam dem Schnurxelchen der Gedanke, dass das wohl Angst sein müsse, die es spürte. Aber noch während es darüber nachdachte, was Angst eigentlich war, ließ das Gefühl nach und das Schnurxelchen merkte, wie das unendlich schwere Gewicht, dass es nach unten ziehen wollte, nachließ und einem Gefühl von Leichtigkeit und Freude wich.

Vorsichtig öffnete es die Augen und schaute an sich herab. »Jipeeee!«, rief es und begann lauthals zu jubeln.

Tja, was war passiert? Gerade eben war das Schnurxelchen doch angstschlotternd an den Baumstamm gepresst in luftiger Höhe gehangen. Und jetzt lachte es laut?

Nur wer jetzt ganz genau hinschaute, konnte sehen, dass die Füße des Schnurxelchens den Baum gar nicht mehr berührten, sie hatten sich millimeterweise von der Rinde entfernt. Langsam begannen sie sich immer weiter vom Baum zu entfernen und nach oben zu steigen, bis das Schnurxelchenm nur noch mit den Händen am Stammm in der Luft hing, die Füße auf gleicher Höhe wie die Hände.

Plötzlich war der Aufstieg gar nicht mehr anstrengend, als sich das Schnurxelchen nun weiter am Stamm entlang hinauf zog.

Am Astloch angekommen, staunte es nicht schlecht, als es sah, wie groß und geräumig es in darin war.

Von außen kaum zu erkennen, hätten sicher einige Schnurxelchen bequem darin Platz gehabt. Der Boden war gepolstert mit getrocknetem Moos und das Schnurxelchen sah ein Eichhörnchen, das aufmerksam zuhörte, wie Henry ihm wild auf und ab hüpfend etwas erzählte.

Dann fiel Henrys Blick auf den Eingang, er erblickte das Schnurxelchen und verstummte.

Dadurch aufmerksam gemacht, drehte sich das Eichhörnchen um und schaute das Schnurxelchen mit großen dunklen Augen an.

Neugierig betrachtete das Schnurxelchen mit offenem Mund das Gesicht des Eichhörnchens. Die großen, spitz zulaufenden Ohren drehten sich in seine Richtung und die langen, grauen Schnurrhaare zitterten leicht. Am auffallendsten war aber der dicke weiße Streifen, der sich den kompletten Bauch bis zum Hals hochzog.

Weil das Schnurxelchen weiterhin mit offenem Mund da stand, entschloss sich das Eichhörnchen dazu das Wort zu ergreifen und fing an mit tiefer Stimme zu sprechen:

»Wenn du deinen Mund nicht bald zumachst, verirren sich noch Fliegen darin.«

Deutlich war ein Lispeln zu hören, was vermutlich an den großen Nagezähnen lag, die beim Sprechen zu sehen waren.

Erschrocken klappte das Schnurxelchen seinen Mund zu und stammelte dann:

»Entschuldigen Sie – ich wollte nicht … – ich dachte nur …«

Amüsiert betrachtete Henry das Schnurxelchen und meinte dann:

»Liebes Schnurxelchen, darf ich dir Onkel Ralf vorstellen? Eigentlich ist er ja nicht mein Onkel, aber alle im Wald sagen Onkel Ralf zu ihm und ich denke, auch du darfst ihn so nennen.«

Zaghaft meinte das Schnurxelchen »Guten Tag, Onkel Ralf.«

Nun schmunzelte auch Onkel Ralf und erwiderte »Keine Angst, mein Kleines, ich beiße nicht. Weißt du, wir Eichhörnchen essen fast nur Nüsse oder vielleicht ab und zu mal einen schönen saftigen Fliegenpilz.«

Hier unterbrach ihn Henry und meinte lachend »Aber einen guten Regenwurm würdest du nicht ausschlagen. Oder etwa nicht?«

Da musste auch Ralf lachen und antwortete »Ja, das stimmt, wobei es tatsächlich schon eine Weile her ist, dass du mir einen schönen saftigen Regenwurm mitgebracht hast.«

Henry schaute etwas verlegen und sprang mit einem Hüpfer aus dem Astloch und war verschwunden.

Erschrocken sah das Schnurxelchen hinter Henry her. Das hatte es nun gar nicht erwartet.

Immer noch lächelnd wandte sich Ralf wieder dem Schnurxelchen zu und sagte: »Mach dir keine Sorgen, er wird gleich wieder da sein.«

Er macht einen Schritt vorwärts und begann das Schnurxelchen zu beschnuppern. Seltsamerweise hatte das Schnurxelchen plötzlich keine Angst mehr und es spürte, dass Onkel Ralf keine Gefahr bedeutete. Irgendwie strahlte er etwas Beruhigendes aus und das Schnurxelchen entspannte sich.

»Weißt du«, fuhr Ralf fort, »die Tiere im Wald haben vor vielen Jahren angefangen, mir immer etwas mitzubringen, wenn sie mich besuchen. Anfangs habe ich noch versucht, sie davon abzuhalten, aber es hat nichts genützt.«

Abermals schmunzelte er. »Und jetzt genieße ich es doch, wenn sie mir wieder einmal ein paar Delikatessen mitbringen.«

Als er das Beschnuppern beendet hatte, forderte er das Schnurxelchen auf: »So. Jetzt, wo wir uns begrüßt haben, mach es dir doch bequem. Hier, leg dich hin und ruh dich erst mal aus.«

Also legte sich das Schnurxelchen hin und stellte zufrieden fest, dass der mit Moos ausgelegte Boden sogar noch gemütlicher als das Nest von Henry war.

Onkel Ralf nahm eine aus Gräsern geflochtene Decke und deckte das Schnurxelchen damit zu.

»Willst du etwas zu trinken?«, fragte er, suchte sich eine Holzschale und füllte sie aus einem großen Behälter, von dem das Schnurxelchen nicht genau erkennen konnte, aus was er bestand. Dann reichte er dem Schnurxelchen die gefüllte Schale und sagte:

»Hier, trink. Das ist bestes Tauwasser, direkt aus der Baumkrone.«

Jetzt merkte das Schnurxelchen, dass es ziemlich durstig war. Die lange Wanderung und die Kletterpartie waren ganz schön anstrengend gewesen.

Dankbar nahm es die Schale mit beiden Händen und trank gierig daraus.

Dann setzte es die Schale ab und sagte zögernd: »Darf ich Dir eine Frage stellen?«

»Natürlich darfst du«, lächelte Ralph das Schnurxelchen an.

»Du hast gesagt, du isst Fliegenpilze, sind die nicht giftig?«

Da verzog sich Ralphs Lächeln zu einem breiten Grinsen: »Doch, aber nicht für uns Eichhörnchen.«

In diesem Moment flatterte es, als Henry wieder durch das Astloch in die Baumhöhle flog. Sein Gefieder war etwas zerzaust und diesmal japste auch er, als er rief:

»Onkel Ralf, hier habe ich dir ein paar besonders schöne Würmer.«

Onkel Ralf lächelte wieder warm und erwiderte: »Ach Henry, das wäre doch nicht nötig gewesen!«

Und während er das sagte, zwinkerte er dem Schnurxelchen schelmisch zu.

Dann nahm er die Regenwürmer und verspeiste einen nach dem anderen genüsslich.

Als er damit fertig war, schaute er wieder das Schnurxelchen an und sah, dass es sich müde mit seinen Fäustchen die Augen rieb.

»Anstrengender Tag, nicht wahr?«, fragte er und das Schnurxelchen nickte müde.

»Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und wir sprechen morgen weiter.«

Wie auf Kommando fielen dem Schnurxelchen die Augen zu und es war eingeschlafen.

Henry und Ralf schauten sich bedeutungsvoll an, dann hüpfte Henry voraus nach draußen.

Dort wartete er auf Onkel Ralf, der gleich darauf im Astloch erschien.

»Hat dich Mama Schnurxel informiert?«, fragte Henry und Onkel Ralf nickte.

»Es ist lange her, dass ein Schnurxelchen zu uns geschickt wurde, ich erinnere mich aber noch gut daran. Unser neues Schnurxel hat viel Ähnlichkeit mit ihm.«

Dann lächelte er. »Es ist aber auch zu niedlich, unser neues Schnurxelchen.«

Henry erwiderte das Lächeln, verabschiedete sich von Onkel Ralf, bevor er davonflatterte, zurück zu Nicki, Annabel, Benni, Charly und Desiree.

weiter zum 6. Kapitel

In dem das Schnurxelchen etwas über Erdbeeren lernt.

zurück zum 4. Kapitel

In dem das Schnurxelchen lernt, wie weich Moos sein kann
Vielleicht hast Du Lust eine Bewertung abzugeben?
[Anzahl: 0 Durchschnitt: 0]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert